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Fachtag Suchtkrankenhilfe

Fachtag Suchtkrankenhilfe
Datum:
8. Dez. 2023
Von:
Axel Küppers

„Bin ich zu dick?“ Ella hat in den letzten sechs Monaten 10 kg abgenommen. Als die 15-Jährige sich vor dem Spiegel die Frage stellt, wiegt sie bei 1,70 m Größe gerade mal 45 kg. Beim Kinderarzt berichtet die Jugendliche, dass sie seit drei Monaten ihre Periode nicht bekommen hat. „Die Eltern haben den schleichenden Gewichtsverlust zunächst nicht bemerkt und machten sich keine Sorgen“, berichtet Yesim Reichert. Die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist Referentin beim Fachtag „Suchtmittelkonsum und Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen“. Eingeladen hat die Suchtkrankenhilfe der CaritasSozialdienste. Knapp 100 Vertreter_innen aus Jugendhilfe, Schulsozialarbeit und Caritas-Mitarbeitende aus der Suchtberatung nehmen die Gelegenheit wahr, sich auszutauschen und von Experten ein Meinungsbild zu erfahren. „Das rege Interesse an unserem Fachtag zeigt, wie groß hier der Wissensbedarf und wie aktuell das Thema ist“, sagt Philipp Alfken, Fachbereichsleiter Suchtkrankenhilfe bei der Caritas. 

 

Im Neusser Café Ons Zentrum schildert die Psychotherapeutin Yesim Reichert ein typisches Fallbeispiel einer Magersucht. Der Name „Ella“ steht als Symbol für junge Frauen, die unter den verschiedenen Formen der Erkrankung wie Anorexie, Bulimie oder Binge-Eating-Störung leiden. Die Verhaltensmuster wiederholen sich, so die Medizinerin Yesim Reichert im vollbesetzten Saal der Caritas-Einrichtung. Die Betroffenen werden immer jünger, die Eltern wollen es meist nicht wahrhaben, für die Ärzte und Therapeuten ist es ein schwieriger Weg, an die Wurzeln der Krankheit zu kommen. Nicht nur die Betroffenen, auch die Angehörigen, die Ärzte und Therapeuten, das Jugendamt und die Beratungsstellen ist es ein schwieriger Weg. 

 

Auf das Merkmal der Überforderung verweist auch Dr. Ulrich Frischknecht, der am Vormittag den ersten Fachvortrag hält. Der Professor für Sucht- und Persönlichkeitspsychologie an der Katholischen Hochschule NRW in Köln beleuchtet das Thema „Sucht im Jugendalter“. Der Psychologe stellt kritisch die Frage, ob denn nicht vielmehr „wir“ als „die“ das eigentliche Problem darstellen. „Ich nehme häufig wahr, dass das Umfeld sehr despektierlich über Suchterkrankte redet und mit dem Finger auf sie zeigt.“ Hierdurch entstehe eine Abgrenzung – mit Ergebnis, dass an die betroffenen Menschen kaum noch ein Rankommen ist und sie sich in ihrem Schicksal alleingelassen fühlen. Dadurch, so der Wissenschaftler, geraten Suchtbetroffene immer tiefer in den Strudel. Am Nachmittag stehen Austausch, Vernetzung und Vorstellung der Präventions- und Beratungsangebote der Caritas Suchtkrankenhilfe auf dem Programm. Dabei kommen auch neue Aspekte zum Tragen, die jetzt weiter verfolgt werden. „Warum nicht bei Essstörungen alternative Herangehensweisen wie Körpertherapie oder Ernährungsberatung in den Regelkanon übernehmen“, schlägt beispielsweise Julia Kopp vor, die im Neusser Jugendamt die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche leitet.